Christliche Ikonografie am Beispiel Tiroler Kirchen
© Anton Prock 2014

Typologie - Jungfrauenschaft Mariens

Kirchenvater Augustinus: “Das Neue

Testament ruht im Alten, und das Alte

Testament wird im Neuen offenbar.” Das

bedeutet, dass verschiedene Texte im AT

auf Geschehnisse im NT hinweisen bzw.

gedeutet werden. So soll etwa die

alttestamentarische Darstellung von

Samson, der die verschlossenen Tore der

Stadt Gaza aus den Angeln hebt und

dadurch Freiheit erlangt, auf Jesus

hinweisen, der aus seinen Grab ausbricht.

Es gibt verschiedene Schriften, die sich der Typologie

widmen. Eine von ihnen ist das Defensorium inviolatae

virginitatis beatae Mariae des Wiener Dominikaners

Franz von Retz (1343-1424). Er will anhand

außergewöhnlicher Vorkommnisse in Geschichte, Sage,

Mythologie und Natur beweisen, dass Maria ohne

Verlust der Jungfernschaft Jesus empfangen und geboren

habe. Dargestellt sind dabei etwa eine Vestalin, die in

einem Sieb

Wasser aus

dem Tiber

trägt, um sich vom Verdacht der

Unkeuschheit zu reinigen; Zwillinge, vor

denen alle Schlösser aufspringen; Vögel,

die wie Früchte auf den Bäumen wachsen;

Stuten, die vom Wind trächtig werden;

Straußenhennen, die ihre Eier durch ihren

Blick ausbrüten; Bärinnen, die durch Lecken ihre neugeborenen Jungen formen. Auch

Christussymbole wie Löwe, Einhorn, Phönix und Pelikan werden auf die

Jungfrauengeburt hin interpretiert. Auf Franz von Retz greift die Votivtafel der

Familie Heuperger aus Hall in Tirol zurück, die sich in Stift Stams befindet und auf

1426 datiert wird.

Wichtige typologische Themenkreise um Maria

Die immerwährende Jungfrauschaft Mariens

a) Der brennende Dornbusch des

Moses (2. Mos. 3,5ff.): “Wie dort vom

Gebüsch das Feuer umfasst wurde und

das Gebüsch doch nicht verbrannte, so

wurde hier von der Jungfrau das Licht

geboren, ohne Verlust der

Jungfräulickeit.” (Gregor von Nyssa)

Darstellung: Der brennende Busch wird

als lodernder Strauch oder Baum

abgebildet, in dessen Wipfel sich Gottvater zeigt. Moses zieht in Ehrfurcht vor dem

heiligen Ort seine Schuhe aus. Manchmal kann in der Baumkrone Maria mit dem

Kind erscheinen.

b) Der blühende Stab Aarons (4. Mos.

17,23): “Du sprießendes Reis Aarons,

deine Blüte ist dein Sohn, unser Gott und

Schöpfer.” (Ephraim der Syrer)

Darstellung: Auf einem Altar stehen elf

kahle Stecken, der zwölfte in ihrer Mitte

grünt, blüht oder trägt Frucht. Er ist der

Stab Aarons, der manchmal auch alleine

dargestellt wird. Aaron selbst ist an

seiner priesterlichen Tracht

erkennbar.

c) Das betaute Vlies des Gideon 

(Richter 6,37ff.): “Gideon, Fürst in

Israel, breitet ein Lammfelld aus,

dass Himmelstau die Wolle überall

betaue. So kam die große Kraft,

dass du wurdest schwanger, Sancta

Maria.” 

Darstellung: Neben dem

ausgebreiteten weißen Lammfall kniet der geharnischte

Gideon.

d) Die verschlossene Tempelpforte Hesekiels, durch die nur

Gott ein- und ausging (Hes 44,1 und 2): “Du bist eine

verschlossene Pforte, aufgetan dem Gottesworte” (beide

Zitate Marienlied von Melk)

Darstellung: Vor der verschlossenen und verriegelten

Tempelpforte steht Hesekiel mit weisender Geste. Über dem

Tor kann Jesus sichtbar sein.

(nach Schmidt, Heinrich und Margarethe: Die vergessene Bildsprache christlicher Kunst, 3. Auflage, München 1984.)