© Anton Prock 2014
Das Hohelied (Buch der Weisheit)
Das Hohelied Salomos ist unter den Lehrbüchern
des Alten Testaments eine Sammlung sehr alter
Liebeslieder. In einer ausschmückenden
Bildersprache und mit vielen Gleichnissen sucht
die Braut den Bräutigam und die Lieben preisen
gegenseitig ihre Schönheit, ihr Suchen und
Finden und ihre Vereinigung. Hintergrund dieses
prächtigen Liebesdialogs ist ein Garten.
Als Verfasser gilt König Salomo, der aber auch
der Bräutigam ist. Bei der Braut handelt es um ein einfaches Hirtenmädchen aus
Sulam, ihr Name ist Sulamith. Die jüdischen Gelehrten interpretieren Salomo als
Gott, Sulamith als das Volk Israel.
Auch sonst wird im Alten Testament der Bund
Gottes mit seinem Volk Israel als Bild des Braut-
und Ehestandes beschrieben. Im Neuen
Testament wird von Jesus als Bräutigam und
von der Gemeinde, der zur Hochzeit
geladenen Gäste, als Braut gesprochen (z. B.
Matth. 25). So deuten die Kirchenväter, zuerst
Origenes, das Hohelied auf Jesus und die
Ecclesia (Kirche) um. Maria wird als würdigste
Vertreterin der Ecclesia “Braut Christi”
genannt.
Besonders der Zisterzienserabt Bernhard von
Clairvaux (12. Jh.) hat sich intensiv mit dem Hohelied beschäftigt und 86 Predigten
darüber geschrieben. Er ist der erste mittelalterliche Vertreter eine intensiven
Christus-Mystik, die in der Vereinigung der Seele mit Gott gipfelt. Das Hohelied
wurde dann aber fast nur auf Maria hin gedeutet. Damit ist ein Wandel in der
Marienverehrung verbunden: Sie wird zur lieblichen Braut, die Schönheit Sulamiths
und der Garten wird zum Gleichnis
ihres Wesens, ihre Jungfräulichkeit und
ihrer Tugenden. Die Marienverehrung
mit Hymnen, Aufrufen und Predigten
schöpfen aus dem Bildreichtum des
Hoheliedes.
Für jedes Ereignis im Marienleben
werden Worte und Bilder aus dem
Hohenlied als biblische Beweise
verwendet. Dadurch entstehen neue
Bildmotive, etwa “Maria im Rosenhag”, die “Krönung Mariens” etc. Es wird von der
gegenseitigen Zuneigung von Braut (Maria) und Bräutigam (Jesus) gesprochen.
Verschiedene Textstellen auf dem Hohelied werden zu Hauptthemen der
Marienverehrung. Hier sind einige Beispiele:
Zur Unbefleckten Empfängnis Mariens: “Vollkommen schön bis du, meine
Freundin, und kein Makel ist an dir.”
Zur Himmelfahrt Mariens: “Wer ist, der
da aufsteigt aus der Wüste, gestützt auf
ihren Geliebten?”
Zur Krönung Mariens: “Komm vom
Libanon, Braut, komm vom Libanon,
komm, du sollst gekrönt werden.”
Zur Maria als Himmelskönigin: “Schön
wie der Mond und auserwählt wie die
Sonne.”
Folgende Textstellen sind für die Ikonografie von Bedeutung:
Für die Reinheit und immerwährende Jungfräulichkeit Mariens: der
verschlossene Garten, der versiegelte Brunnen, die Lilie unter Dornen und im
Tal, der Turm aus Elfenbein (Elfenbein galt als Sinnbild der Keuschheit), der
Turm Davids mit Zinnen und tausend Schilden
Für die Demut: die Lilie im Tal, die Feldblume
Für die Himmelskönigin: Sonne und Mond
(nach Schmidt, Heinrich und Margarethe: Die vergessene Bildsprache christlicher Kunst, 3. Auflage,
München 1984.)